Hand auf den Bauch
In der U-Bahn.
Möchte gerne weinen, stattdessen trage ich einen Kloß in meiner Kehle mit nach Hause
In meiner Tasche trage ich ein Paket, in dem Paket ein Buch, fast 3 kg, „keine leichte Kost“.
Wirklich schwer ist es nicht, so lange es verpackt ist. Ich kann nicht warten es zu öffnen. Dankbar bin ich.
Dankbar und ängstlich.
Ich lasse mich lesen wie ein Buch. Lies mich.
Warum wiegt es so schwer?
Jetzt kommen 2 Tränen, ich sehe doof aus, ist schon fast wieder trocken, fällt nicht auf.
Ich muss aussteigen.
Schwere Kost. Ich glaube ich bin schwer verdaulich. Mir ist die Leichtigkeit früh abhanden gekommen.
Nur mein Herz verschenke ich zu leicht und auf jede erdenkliche Art und Weise.
Hand aufs Herz. Leg deine Hand auf meinen Bauch, ganz schwer. „Du spürst ihre Schwere“.
Menschen sagen Dinge, schreiben Dinge, nur so.
Ich fühle mich schwer. Wünsche mir, dass mich jemand mit den Fingerspitzen an den Schultern nimmt, wie einen nassen Lappen und zum trocken an die Leine hängt.
Is mir egal, ich schniefe, schaut doch, ich muss jetzt die Tomaten gießen.
Eine Hand auf meinem Bauch. Nebenbei, liegt da nur so, wie ein umgeknickter Grashalm auf dem anderen, oder ein verwehtes Blatt auf dem Asphalt.
Ich weiß gar nicht, ob ich traurig oder glücklich bin. Leben oder sterben will.
Alleine sein muss ich, war alles bisschen viel die letzten Tage. Die letzten Jahre. Alles bisschen viel. Jetzt weine ich beim gießen. Die Tomaten lassen die Blätter hängen. Ich auch.
Ich denke dass ihr mich hängen lasst.
Ich lass euch nicht hängen. „Ich wär traurig, wenn du nicht mehr wärst“.
Ich mache mich zu schnell abhängig. Ein, zwei Worte zu viel gewechselt und schon hängt mein Leben von dir ab. Ich mach das nicht, etwas macht das mit mir. Etwas was an dir macht was mit mir.
„Eigentlich schön“.
Eigentlich schade. Ich bin hier mit mir alleine, ich bin euch eine gute Gesellschaft. Mir eigentlich nicht.
Ich möchte alleine sein heute, denn ich habe Angst vor euch. Jetzt kann ich endlich weinen, hab die Tasche auf den Tisch gelegt, sie wiegt jetzt bestimmt 3 kg, zusammen mit den Tomaten die ich gepflückt habe. Sie sind noch nicht ganz reif, doch in ein paar Tagen kann man sie essen.
Niemand zuhause, es ist leise in der großen Wohnung. Vermute ich zumindest, hab meine Kopfhörer noch nicht abgenommen, aber es ist bestimmt sehr leise in der großen, leeren Wohnung.
Wenn ich mich so verbunden fühle, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Heule Rotz und Wasser und habe das Paket noch immer nicht aufgemacht.
Ich möchte dir auch etwas schicken, doch ich öffne mich schon wieder viel zu schnell und weit. Lies mich. Wie ein offenes Buch darfst du mich lesen. „Dein letztes Lied ist ein Geschenk“.
Ich wollte mich doch nicht mehr so schnell verschenken.
„Für die Umarmung ist es jetzt leider zu weit“. Natürlich möchte ich umarmt werden. Wie ich nackt auf dem Apfelbaum saß und geweint habe. Eigentlich machen wir sowas nicht. Die nötige Distanz die ein Fotograf zu seinem Modell hält. Das hat etwas mit Respekt zu tun. Du bist ein sehr respektvoller Mensch. Sehr respektvoll hast du gefragt, ob du mich umarmen darfst und ich habe „Ja“ gesagt. Natürlich möchte ich umarmt werden.
Aber jetzt sitze ich in der Küche und durchnässe mein T-Shirt mit Tränen, während es draußen langsam dunkel wird.
„What are you doing?“. Gestern habe ich auf seine Nachricht gewartet, heute wünschte ich, er würde mich einfach lassen, was soll ich denn antworten? „I‘m sitting in the kitchen, soaking my shirt with tears while it’s slowly growing dark outside“. Dann würde er fragen „why?“. Warum. Warum. Warum. Warum möchtest du mich in deinem Leben haben? Mach ich dein Leben schöner?
Ich mach euer Leben leichter, ihr macht mein Leben schwer. Das ist eine Lüge. Vielleicht wäre euer Leben besser, ohne mich und vielleicht gäbe es mich nicht mehr ohne euch. Ich muss aufhören zu weinen, es kommt niemand, um mich zu halten.
Würdest du mich aufhalten?
Ich rauche meine Zigarette zu Ende, mir tut die Lunge weh vom vielen Rauchen. Ist nicht gut für mich. Ich bin nicht gut zu mir. Ich müsste was essen, ich will nicht, ich will still und leise sein und klein und leicht, damit du mich besser halten kannst. Ich bin zu laut, zu schwer, zu viel.
„Hab nicht so ein schweres Herz“. Vor 10 Jahren hat das ein Mensch gesagt, den ich so geliebt habe, wir haben lange kein Wort gewechselt. Ich hab diese Liebe nie aus meinem Herz vertrieben, mein Herz ist schwer, weil ich zu sehr liebe.
Liebe soll sich leicht anfühlen, oder?
Ich weiß gar nicht, wie das funktionieren soll. Ich funktioniere so nicht.
Ich funktioniere, immer gerade so, irgendwie funktionieren, geht schon irgendwie. Mir geht’s gut. Ich bin gesegnet und dankbar und so schwer.
Ich glaube schon, dass ich leben möchte.
Auch wenn ich es oft nicht merke. Wenn ich nicht mehr hier sein will, dann liegt das daran, dass ich es hier nicht gut aushalten kann, mit meinem schweren Herzen.
„Easy heart“.
„I‘ve had a pretty hard life for such an easy heart.“
Ich habe alle Tränen raus geweint. Mein Mund ist trocken.
Ich lasse euch in mein Leben rein, mein Leben, teile ich mit dir. Du kannst gut zuhören. „Wenn wir nicht 300 km voneinander entfernt wären und schreiben würden, dann säßen wir uns vielleicht gegenüber, Du würdest reden und ich zuhören. Ich höre einfach zu. Ich kann nichts antworten, ich will nichts bewerten. Wie sollte ich?“
300 km. Hab wohl doch nicht alle Tränen raus geweint, mir schwimmt die Sicht davon.
Ich möchte aufstehen, was machen. Muss viel machen. Ich öffne meine Briefe seit Wochen nicht. Ich muss mich kümmern. Ich möchte dass sich jemand um mich kümmert. Dass sich jemand für mich kümmert. Ich möchte euch keinen Kummer machen. Ich schaff das schon.
Ich sollte dein Paket aufmachen, du bist so gespannt zu lesen, was ich davon halte.
„Es wiegt übrigens fast 3kg.
Du kannst es also auch gut auf Deinen Bauch legen, wenn Du mal "eine Hand" brauchst.“
Das ist aber nicht das gleiche.
Am 19. April haben wir telefoniert. Danach hab ich in meine Notizapp geschrieben: „Thank you for holding space when I ran out of fucks to give. I still don't care if I breathe or break but we talked and we can't take that back“ Das können wir nicht zurück nehmen. Das kann mir keiner nehmen. Ich bin zu müde und zu schwer. Fast 3 kg. 3 kg weniger habe ich gewogen, als wir uns das erste Mal getroffen haben. Ich wollte verschwinden. War drauf und dran. Etwas hält mich hier. Ihr haltet mich hier, doch heute muss ich mich selbst halten. Es ist still hier. Ich habe alles gesagt. Ich hab so viel zu sagen. Ich finde kein Ende. Doch ich glaube, es ist alles gesagt.Ich gehe jetzt, die Tomaten aus der Tasche nehmen, vielleicht trau ich mich ja, dein Paket zu öffnen . „Danke“ - „Ich wünsche Dir eine gute Nacht. Aber Danke wofür?“ - „Na, Danke einfach. Bin dankbar. Lass mich.“ Ich mach das Fenster zu, lass die Geräusche draußen, drinnen ist es dunkel, ich mach das Licht an. „Siehst Du, genau das meine ich. Du machst Poesie daraus.“